Virtuelle Durchführung

RoboCup 2021 – Tagebuch einer Weltmeisterschaft

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RoboCup 2021 - hftm.team.solidus

Hinten, v. l. n. r.: Philippe Schneider, Tim Hildebrand, Daniel Lehmann, Colin Grossen, Timon Notter, Marc Flückgier

Vorne, v. l. n. r.: Stefan Brandenberger (Fachbereichsleiter Systemtechnik) und Alain Rohr (Dozent Systemtechnik und Mitglied des technischen Komitees der Organisation RoboCup)

Vom 22. - 27. Juni 2021

Dienstag, 22. Juni - Setup Day

Der Setup-Day dient dazu, sich einzurichten, die Robotinos in Betrieb zu nehmen und alles aufzustellen. Ausserdem werden die «scharfen Szenarios» durchgetestet. Am Vormittag justierten wir die neuen Lokalisierungsalgorithmen und wechselten mutig auf einen neuen Fahralgorithmus den D-Star (anstatt A-Star). Am Nachmittag konnten wir die einfachen Challenges Exploration und Navigation (dazu später mehr) einigermassen erfolgreich testen. Bei einem unserer letzten Tests vor dem Abendessen, reagierte unser Hauptroboter Nr. 1 plötzlich nicht mehr präzise genug und verlor immer mehr die exakte Position (x,y und die Ausrichtung phi). So als hätte auch er langsam Hunger.

Nach gezielter Analyse in der Software dachten wir zuerst es sei das Gyroskop. Nachdem das Auswechseln der Roboter-CPU nichts brachte, wechselten wir auch das Fahrwerk aus. Und siehe da es lag an der Mechanik. Die Räder (Achsen) waren in Mitleidenschaft gezogen worden und die Odometrie (Drehgeber) lieferte keine präzisen Daten mehr.

Das Ganze war ein grosser Aufwand mit 2-facher Demontage und Neumontage aller Kabel, Greifer, Laser. Nun hatten wir den Hauptfokus für einmal nicht auf der Software, sondern kämpften mit Elektronik, Mechanik und Pneumatik.

Die 6 Teammitglieder arbeiteten hervorragend auf einander abgestimmt und effizient wie ein Formel 1 Team. Bereits nach zwei Stunden waren wir wieder für weitere Tests parat . Leider lag nun der gemütliche Restaurantbesuch nicht mehr in unserem Zeitbudget und wir bestellten wieder einmal Pizza «as usual».

Anschliessend wurden die nötigen Tests noch bis 23.00 Uhr nachgeholt. Morgen geht’s los mit der ersten Challenge Exploration um 16.00 Uhr und um 18.00 Uhr die Navigation Challenge.

Mittwoch, 23. Juni - Zwei Challanges

Wir arbeiteten den ganzen Tag über noch am Fahren und Lokalisieren. Unsere neuen z.T. übernommenen Algorithmen, mussten noch bis ins Detail verstanden und angepasst werden. Um 16:00 Uhr starteten wir die Navigation Challenge Easy. Da ging es darum auf dem kleinen 5*5 Meter Feld mit 2 Maschinen als Hindernisse, 12 Positionen möglichst schnell anzufahren. Dies klappte perfekt, wobei wir sagen müssen, dass wir momentan auch noch etwas Glück brauchen, dass der Roboter seine Position nicht verliert und eine Route findet.
Denn wir müssen ohne externe Navigationssysteme oder Hilfen immer wissen wie (Phi) und wo (x,y) wir stehen und die richtigen Wege im kleinen Feld um die Hindernisse finden.
Um 18:00 Uhr absolvierten wir die Exploration Challenge Easy, wo wir 2 Maschinen finden und über QR-Tags detektieren mussten.
Sprich zu Beginn wissen die Roboter absolut nichts und suchen mit der Kamera und LIDAR (Laser) nach Maschinen auf dem Feld, erkennen den Typ und die Position und Ausrichtung derer.Auch das klappte erfolgreich und wir holten die Maximalpunktzahl, wobei wir sicher den Geschwindigkeitsbonus nicht kriegen werden. Wir fahren typisch schweizerisch eher auf Präzision als auf Speed. 


So konnten wir den Tag mit 25 Punkten abschliessen und den Restarauntbesuch mit einem köstlichen Essen beim "Libanesen" nachholen. Anschliessend gings nochmals an die Arbeit und Tim unser Laserspezialist konnte bis 0200 Uhr nicht schlafen und hatte sogar noch eine zündende Idee, welche nun um 0830 Uhr bereits in der Implementations- und Testphase ist. 
Der heutige Zeitplan ist folgendermassen: https://ll.robocup.org/rc2021/

Donnerstag, 24. Juni - Medium and Hard Challenges

Nach einem ersten erfolgreichen Tag, dachten wir es ginge genauso weiter. Wie gestern schon erwähnt, konnte bereits am Morgen eine neue Idee zur Winkelkorrektur erfolgreich getestet werden. Nach einem Besuch unseres hausinternen Multimedia-/Marketing-Teams welches uns hochprofessionell interviewte und von uns in Action ein paar Schnappschüsse und Videos machte, waren wir voller Zuversicht, die gemachten Tests an den folgenden Wettkämpfen wiederholen zu können. Zu sicher und zu lange testeten wir anschliessend an anderen Elementen herum und waren dann zu wenig bereit für die effektive Challenge.
 
Tatsächlich funktionierte die Winkelkorrektur nun im Zusammenspiel nicht mehr so gut und wir blieben mehrmals stehen und fanden keinen Pfad mehr. Somit schafften wir die Navigation Medium auch nach mehreren Versuchen nicht komplett, d.h wir konnten maximal nur 7 von 12 Positionen anfahren. In der Navigation Hard mit 4 aufgestellten Maschinen funktionierte es dann etwas besser, wir schafften zwar alle 12 Positionen, crashten dann aber mit einer Maschine. Ähnlich unstabil aber in mehreren Versuchen schafften wir dann die Exploration Challenges trotzdem gerade noch knapp. 
 
So waren wir zwar erfolgreich und punkteten in 2 von 4 Challenges aber konnten über unseren zu unsicheren Fahralgorithmus doch nicht zufrieden sein. Die ehrgeizigen Studenten waren frustriert und wollten eigentlich gar nichts zu Abend essen und sich unbedingt sofort über die Fehlersuche hermachen.  Nach etwas Überredungskunst seitens der betreuenden und hungrigen Dozierenden, sah das Team dann ein, dass es nicht schaden konnte "etwas den Kopf zu lüften". So nahmen sie dann doch einen Fast-Imbiss im amerikanischen Edelgasthof "zur goldenen Möve" ein. Anschliessend wurden noch Zonenblockieralgorithmen entwickelt und bis in die Nacht hinein getestet.

Freitag, 25. Juni - Day3 - Grasping Challenge

Grasping Challenge
Irgendwie waren wir wohl vorgestern zu umnächtigt oder hochoptimistisch, haben wir doch für gestern nur 2 Challenges angemeldet.
Wir waren wohl so sicher, dass wir die Grasping Challenge schaffen. Bei dieser geht es darum bei einer Station von der einen Seite ein Produkt auf einem Band abzuholen, auf die andere Seite zu fahren, dieses wieder auf dem Band abzugeben und das Ganze 3 mal hintereinander.


So einfach sich dies nun anhört, es ist eine grosse Herausforderung für einen "blinden" Roboter welcher seine Umgebung zuerst detektieren und analysieren muss. Das 4cm breite Produkt, muss auf dem Band abgelegt werden und hat auf der Seite nur 2mm "Spatzig". Und das ganze geschieht mit einem Roboter welcher 30kg schwer ist und höchstens auf 5cm genau fährt, rsp. sich positionieren kann.


Unser getrenntes 3-achsiges Greifer-System, mit dem wir notabene vor 3 Jahren die Konstruktions-Challenge gewonnen hatten, kann aber einiges korrigieren. Mit diesem versuchen wir jeweils 3 mal, ansonsten fährt der Roboter nochmals neu an die Station an.


Am Vormittag hatte das Team mit einigen Fehlern und Enttäuschungen zu kämpfen und es gab einen moralischen Durchhänger (dies sei aber meistens so am 3.ten oder 4.ten RoboCup-Tag (Anmerkung vom Betreuer A.Rohr))


Um 1730 Uhr hatten wir dann unsere erste Grasping-Challenge. Diese haben wir mit einem Roboter 3mal hintereinander geschafft.
Somit sind wir wieder motiviert und zuversichtlich für morgen, da versuchen wir es dann noch mit 2 Roboter und 3 Roboter.

Samstag, 26. Juni - Letzte Challenges

Da am Sonntag um 0900 Uhr bereits alle Resultate ausgewertet sein müssen war somit heute unser letzter Wettkampfstag. 
Wir hatten gleich 5 Challenges angemeldet. Navigation Hard, einmal die Navigation Hard, da wir dort in der bisherigen noch einen Crash hatten.
Und dann jede Gripper Challenge (Easy und Medium) noch je 2 mal. Obwohl wir in der vorherigen Nacht noch den 3.ten Roboter zusammenbauten lief dieser aufgrund älterer Komponenten und mangelnder Zeit nicht optimal. Wir schafften die ersten beiden Challenges, manchmal mit etwas Verzögerungen und Retries. Die letzte von uns vorbereitete Challenge, klappte dann nicht vollständig.

Trotzdem holten wir noch 20 von 24 Punkten. So hatten wir nun nach unserer Rechnung Total 80 Punkte und nun ging es ans Bangen und Hoffen, da wir keine Ahnung hatten, was die anderen Teams gemacht haben. Nach einer feinen, verdienten Stärkung in einer roboterfreien Zone, sprich einer friedlichen "Gartenbeiz" und dem ersten Sonnenlicht seit Montag ;-) gingen wir anschliessend nochmals in unsere "Wettkampfshöhle" zurück. Nun ging es ans Auswerten, Video sichten und korrigieren von einigen Challenges der anderen Mannschaften. Bei den von uns zu prüfenden Gegnern war alles konform.

Nun  warten wir nach der intensiven 80h Woche auf die Rangverkündigung vom Sonntag, welche wir nun gemütlich von zu Hause aus online anschauen können. 

Sonntag, 27. Juni - Abschluss/Auswertungen

Am Sonntag Morgen gingen noch diverse Mails hin und her, um die letzten offenen Dinge und Unklarheiten der Videos mit den Logfiles der Schiedsrichterbox usw. abzugleichen. Ein riesiges Dankeschön an das Organisationskomitee, insbesondere die Aachener, welche bei den Bewertungen den Grossteil übernommen hatten.

Die Vorbereitungsphase dieses Jahr war sehr turbulent und kurz. Viele offene Punkte, kurzfristige und vorallem coronabedingte Änderungen, unser bevorstehender Umzug in den Inno-Campus, die grossen Belastungen in der Schule mit Abschliessen von anderen Projekten/Prüfungen, welche nachgeholt wurden, als man endlich wieder vor Ort sein konnte usw.

Auch die German Opens in Magdeburg fielen dieses Jahr dem Virus zum Opfer, wo wir andere Jahre jeweils erste Erfahrungen und Erkenntnisse gewonnen haben. Dieser wichtige Vorbereitungswettkampf fehlte uns dieses Jahr gänzlich.

Da das Event nicht vor Ort stattfand und der Austausch mit den anderen Teams usw. fehlte, war die Motivation der Studierenden nicht ganz auf dem sonstigen "Hoch". Aus all diesen Gründen sind wir eher mit niedrigen Erwartungen in den Cup eingestiegen.

Zu Gute kam uns zwar, dass nicht mehr das gesamte Spiel, sondern nur einzelne Challenges durchgeführt wurden. Eine Idee, welche übrigens auch die hftm (namentlich Stefan Brandenberger) ins OK einbrachte.

Dies auch um den Einstieg für neue Teams zu erleichtern. Als innovative First Implementer und Prototyper mit einfachen aber stabilen Lösungen sind wir ja in der hftm bekannt und hocheffizient.

Montag, 28. Juni - Bronze

Yeah, nun steht es schwarz auf weiss. Wir sind dritte mit 80 Punkten, hinter Grips 128 Pkt (TU Graz, Österreich) und dem Sieger Carologistics 691 Pkt (RWTH Aachen, Deutschland)  - eine Top-Platzierung für die DACH-Region!

Erstaunlich ist vor allem, dass wir nicht viel hinter den Österreichern sind. Als Betreuer kann ich sagen, dass die Studenten in wenigen Tagen mehr aus dem Boden gestampft und erreicht haben, als in den letzten 2 Monaten mit den wenigen Lektionen PoE (Projektorientiertes Engineering).

So war mit dem grossen Einsatz der letzten Woche mit ca. 80 Stunden (Mo-Sa) eine sehr steile Lernkurve möglich und auch die Sozial- und Methodenkompetenzen wurden in den Stresssituationen auf die Probe gestellt.

Nun geht es noch ums Fixen der letzten bekannten Fehler, dem lehrbuchmässigen Ausprogrammieren der im Eifer des Gefechtes eingebauten Workarounds, und schliesslich dem Dokumentieren, damit es die nächsten Studierenden wieder einfacher ;-) haben, den schwierigen Einstieg in diese Thematik zu finden.

Ich bin stolz auf unser Team und freue mich nun auf den Finish und die Schlusspräsentation. Ein grosses Merci an alle Beteiligten, denn einmal mehr konnten hftm-Studierende beweisen, dass durch unsere praxisorientierte Ausbildung das Eintauchen in eine eher nicht alltägliche Problemstellung rasch möglich ist und bewältigt werden kann.

 

Das Tagebuch wurde von Alain Rohr, Dozent Systemtechnik erstellt.